Gemeinsamkeiten von The Work und dem systemischen Coaching
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Haben The Work und systemisches Coaching wirklich nichts gemeinsam?
Die Methoden The Work von Byron Katie und das systemische Coaching scheinen auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam zu haben. So zielt The Work darauf ab, belastende Gedanken und begrenzende Verhaltensmuster mittels vier Fragen und drei Umkehrungen zu entkräften. Es geht um eine fragenbasierte Stressreduktion. Deshalb bezeichnen einige Wissenschaftler The Work auch als «Inquiry-based stress reduction» (IBSR). The Work zielt scheinbar nur auf einen einzelnen Menschen ab. Manche Worker/-innen vertreten sogar die Ansicht, dass eine (illusionäre) Umwelt das Glaubens- und Wertesystem eines Menschen spiegelt.
1. Gemeinsamkeit: Durch eine veränderte Sicht- und Handlungsweise des Coachees beeinflussen das systemische Coaching als auch The Work ein System
Im Gegensatz zur Work, bei der es scheinbar nur um den Coachee geht, behalten systemische Coaches die Zirkularität im Blick. Was bedeutet das? Verschiedene Elemente und Personen wirken miteinander und beeinflussen sich gegenseitig. Im systemischen Coaching betrachten Coach und Klient deshalb Probleme immer im Hinblick auf das vernetzte System. Und so beziehen sich so genannte zirkuläre Fragen auf die etwaigen Standpunkte anderer Menschen in diesem System. Es gilt zudem: Ändert der Coachee sein Denken und Handeln, ändert sich etwas im System.
Hier tritt dann doch eine erste Gemeinsamkeit zwischen The Work und dem systemischen Coaching zutage. Denn auch bei The Work setzen sich die Klient:innen (mit sich und) ihrem Umfeld auseinander. Wie? Ganz einfach, indem sie vor einer Work das Arbeitsblatt »Urteile über deinen Nächsten« ausfüllen. Dieses Arbeitsblatt wird dann später »geworked«
Bei beiden Coaching-Methoden wird folglich zweierlei klar:
- Der Mensch ist keine Insel.
- Ändert ein Mensch seine Einstellung und im Nachgang sein Verhalten, verändert er damit etwas im System. Logisch, oder?
Während die vier Fragen von The Work alle Lebensbereiche einschließen, betont Markus Edenhauser im Kurs »Systemisches Coaching«, dass sich das Systemische Coaching vor allem auf die Arbeit beziehe. Ein systemischer Coach begleite Klientinnen und Klienten nur dann bei privaten Themen, wenn dies im beruflichen Kontext erforderlich sei. Zudem grenzt der Dozent Edenhauser das systemische Coaching von der Sozialarbeit und der Therapie ab.
2. Gemeinsamkeit: The Work und das systemische Coaching sind offiziell keine therapeutischen Werkzeuge
Damit sind wir bei der zweiten Gemeinsamkeit von The Work und dem systemischen Coaching. Beide Methoden richten sich an gesunde Menschen. Nach der Weltgesundheitsorganisation ist Gesundheit nicht nur die Abwesenheit einer Krankheit oder eines Gebrechens. Sie ist Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens. Ich frage mich: Gibt es ihn, den komplett gesunden Menschen, der einen Coach aufsucht? Schließlich wird er sich zumindest in sozialer Hinsicht beeinträchtigt fühlen.
Bei meinen Work-Coachings habe ich erlebt, dass die Grenzen von »psychischer Gesundheit« nicht scharf abgegrenzt werden können. Was ist etwa mit der Führungskraft, die in einem Coaching nach Wegen sucht, um ihr Arbeitspensum noch effizienter zu erledigen? Der Haken: Als Coach stellst Du fest, dass dieser Mensch auf einen Burnout zusteuert …
3. Gemeinsamkeit: Der Coach for The Work und der systemische Coach sind keine Berater
Während meiner Ausbildung zum Coach for The Work habe ich lernen dürfen, mich als Coach nicht zu wichtig zu nehmen. Meine Aufgabe als Begleiterin ist es, einen Menschen bei der Selbstreflexion zu unterstützen, ohne ihn zu manipulieren. Der Work-Coach hört zu und gibt der workenden Person die Gelegenheit, seine Gefühle und Gedanken auszudrücken. Der Work-Coach ist Diener/-in im Prozess der Selbstreflexion. Als Begleiter/-in stellt die coachende Person sicher, dass der workende Mensch beim Thema bleibt. So gewinnt er zum Teil erhellende Erkenntnisse, die den Weg für positive Veränderungen freimachen.
Ebenfalls lehrt Markus Edenhauser, dass es sich beim systemischen Coaching um eine Begleitung und kein Consulting handelt. Dabei wird meiner Meinung nach dem systemischen Coach mehr Raum zugestanden als einem Work-Coach.
Für die Coaches beider Methoden gilt jedoch, dass sie den Klienten als Menschen auf Augenhöhe wahrnehmen. Dazu Markus Edenhauser:
»Als systemischer Coach sind wir auf der gleichen Ebene wie der Coachee. Es ist eben NICHT das Verhältnis von Arzt und Patient. Wir begleiten und wollen mit den richtigen Fragestellungen, Denkanstößen und Kreativitätstechniken unser Gegenüber zum Denken animieren.«
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Damit ähnelt die Haltung eines Work-Coaches jener des systemischen Coaches. Bei beiden Coaching-Methoden gelten Klient:innen als gleichwertigen Partner:innen, die sich im Prozess der Selbstauseinandersetzung und Lösungsfindung befinden. Sowohl The Work als auch das systemische Coaching postulieren eine wertschätzende Haltung des Coaches gegenüber seinen Klient:innen.
4. Gemeinsamkeit: Work-Coaches und systemische Coaches betonen den Wert des aktiven Zuhörens
Nach einer Work reflektieren die Begleiter:innen, ob sie zuvor ihrem Gegenüber »aktiv zugehört« haben. Hier stellen sich vor allem angehende Work-Coaches immer wieder folgende Fragen:
- Habe ich dem/der Work-Partnerin genügend Raum gewährt?
- Habe ich den Prozess der Untersuchung durch eine zeitlich nicht passende Frage oder einen deplatzierten Kommentar gestört?
Helena Bergfeld bezieht sich ebenfalls in ihrem Buch »Die 9 Schlüsseltechniken des systemischen Fragens« auf die »Kunst des Zuhörens«. Dabei ist für sie das aktive Zuhören ein Schlüssel zur effektiven Kommunikation. Sie schreibt:
[…] Aktives Zuhören hingegen erfordert unsere volle Präsenz und Beteiligung. Es geht darum, wirklich „da” zu sein, mit der Person, die spricht, und sich in ihre Botschaft, ihre Emotionen und ihre Perspektive zu vertiefen. Für Führungskräfte, Berater und Coaches ist es eine unerlässliche Fähigkeit, da sie die Qualität und Tiefe der Kommunikation mit Kollegen, Klienten oder Mitarbeitern maßgeblich beeinflusst. […] Indem wir aktiv zuhören, zeigen wir dem Sprecher, dass wir ihn wertschätzen und respektieren. Das schafft Vertrauen und öffnet Türen zu tieferen, bedeutungsvolleren Gesprächen. […] Es erfordert Geduld und Selbstbeherrschung, besonders wenn wir nicht mit dem einverstanden sind, was gesagt wird. Aber nur indem wir dem anderen erlauben, sich vollständig auszudrücken, können wir wirklich verstehen, was in ihrem Kopf vorgeht. […]
Bergfeld, Helena. Die 9 Schlüsseltechniken des systemischen Fragens: Meistern Sie durch gezielte Übungen die Kunst der Kommunikation und werden Sie zum Problemlöser – für … Berater und Coaches (German Edition) (S.122). Kindle-Version.
5. Gemeinsamkeit: Die dritte Frage bei The Work und die reflexiven Fragen im systemischen Coaching fördern Werte und Überzeugungen des Coachees zutage
»Wie reagierst Du, was passiert, wenn Du den Gedanken XY glaubst«, lautet die dritte Frage von The Work. Diese Frage leitet meist eine intensive Phase der Selbstreflexion ein. In diese wird auch das Körperempfinden einbezogen. Mit Körper und Geist empfindet der Coachee nach, wie sich ein belastender Gedanke in seinem Leben auswirkt. Work-Puristen belassen es bei dieser einen Frage.
Ich persönlich finde es dagegen hilfreich, Unterfragen zu Frage 3 zu stellen. Warum? Wie beim systematischen Coaching unterstützen sie den Reflektions-Prozess. Sie vermögen es, halb-bewusste Werte und Überzeugungen zu beleuchten. Hier drei Beispiele für eine Unterfrage während eines Work-Coachings:
- Wie lebst Du Dein Leben mit Gedanken XY?
- Was kannst Du nicht tun, sehen, fühlen, wenn Du Gedanken XY glaubst?
- Welchen Vorteil hast Du von diesem Gedanken?
Im Vergleich dazu einige Beispiele für reflexive Fragen aus dem systemischen Coaching:
- Wie würdest Du Deine Gefühle in dieser Situation beschreiben?
- Welche Überzeugungen/Werte hindern Dich daran, in Situation Y so und so zu handeln?
- Inwieweit siehst Du Dich als aktiven Gestalter in dieser Situation?
- Warum könnte genau diese Situation eine Gelegenheit sein, Deine persönliche Entwicklung voranzutreiben?
Abschließend eine Frage an Sie, liebe Leserinnen und Leser: Liegen die gerade gelisteten Fragen Ihrer Meinung nach weit auseinander? Ich denke, dieser Abschnitt über die Selbstreflexion beweist, dass The Work und das systemische Coaching viele Übereinstimmungen aufweisen.
6. Gemeinsamkeit: The Work und das Systemische Coaching enthalten Fragen, die festgefahrene Denkmuster durchbrechen können
Systemisch arbeitende Coaches nutzen bei Bedarf neben lösungs- und ressourcenorientierten Fragen auch hypothetische Fragen und Paradoxon-Fragen. Hierzu ein Beispiel von Helena Bergfeld:
Wenn beispielsweise ein Teammitglied immer wieder betont, dass eine bestimmte Herausforderung unüberwindbar ist, könnte die Frage „Wie würde es aussehen, wenn diese Herausforderung tatsächlich unsere größte Stärke wäre?” helfen, die Perspektive zu verändern und innovative Lösungsansätze zu fördern. Jedoch sollte die Führungskraft bereit sein, mit Widerstand oder Verwirrung umzugehen und die Frage nicht als Kritik, sondern als Einladung zum kreativen Denken zu positionieren.
Bergfeld, Helena. Die 9 Schlüsseltechniken des systemischen Fragens: Meistern Sie durch gezielte Übungen die Kunst der Kommunikation und werden Sie zum Problemlöser – für … Berater und Coaches (German Edition) (S.60-61). Kindle-Version.
Nehmen wir an, die Herausforderung bestünde darin, die Lagerbestände einer Firma innerhalb von drei Monaten zu reduzieren – zeitgleich zur üblichen Arbeit. In einem Work-Coaching würde dieser Mitarbeiter vermutlich folgenden Gedanken untersuchen wollen:
»Die kurzfristige Reduktion der Lagerbestände ist für unser Team ein unüberwindbares Hindernis«.
Ein Pendant zur Paradoxon-Frage ist die vierte Frage der Work. Hier begibt sich der Klient gedanklich in die eben genannte Situation. Allerdings versucht er dabei, den Gedanken, dass die Reduktion ein unüberwindbares Hindernis ist, außen vor zu lassen. Gelingt ihm das, ist das ein erster Schritt zur Veränderung.
Menschen, die noch nicht lange worken, fühlen sich von der vierten Frage meist überfordert. Sie schaffen es oft nicht, bereits an diesem Punkt des Work-Prozesses »das Problem« aus einer entlastenden Perspektive wahrzunehmen. Alles gut!
Die Umkehrungen in The Work ähneln der paradoxen Frage im systemischen Coaching
Schließlich gibt es da noch die drei Umkehrungen von The Work. Sie sind ein starkes Werkzeug, um sich aus starren Denkschleifen zu befreien. Bleiben wir bei unserem Fall. So würde der/die Workende jeweils drei gegenteilige Gedanken finden, die ebenso wahr sind, wie sein belastender Glaubenssatz. Zum besseren Verständnis hier nochmals der belastende Gedanke: »Die kurzfristige Reduktion der Lagerbestände ist für unser Team ein unüberwindbares Hindernis«. Jetzt kehren wir den Gedanken um:
- Die kurzfristige Reduktion der Lagerbestände ist für unser Team eine leicht zu nehmende Chance (UMKEHRUNG 1)
- Die langfristige Reduktion der Lagerbestände ist für unser Team ein unüberwindbares Hindernis (UMKEHRUNG 2)
- Der Gedanke an die Unmöglichkeit einer kurzfristigen Reduktion ist für unser Team ein unüberwindbares Hindernis (UMKEHRUNG 3)
Im Anschluss daran findet die workende Person drei Beispiele zu jeder Umkehrung. Hierbei stellen die meisten Coachees fest, wie gut es tut, ihr Problem selbständig aus einer gegensätzlichen Perspektive zu betrachten. Dabei haben insbesondere die »unsinnigen« Umkehrungen das größte Befreiungspotenzial. Gerade sie helfen dem/der Workenden, starre Denkmuster aufzubrechen. Dabei weiß der Klient/die Klientin den Work-Coach an seiner Seite. Denn: Auf seine Bitte hin wird der Work-Coach ihn/sie mit passenden Beispielen unterstützen. Spannend wird es dann mit der »gelebten Umkehrung«: Hier setzt der Work-Coachee eines der gefundenen Beispiele in die Tat um. Dieser erste lösungsorientierte Schritt gibt dem Coachee das Gefühl der Selbstwirksamkeit (zurück).
Fazit: Die scheinbar sehr verschiedenen Methoden The Work und das systemische Coaching weisen viele Gemeinsamkeiten auf
Das zeigt zusammenfassend: Sowohl The Work als auch das systemische Coaching arbeiten mit lösungsorientierten Elementen. Hier wie auch für den gesamten Work-Prozess gilt: Alles, kann; nichts muss. Es geht, wie oben beschrieben, sowohl beim systemischen Coaching als auch bei der Work um eine Haltung der Wertschätzung. Es handelt sich um einen Prozess, in der ein Coach das Gegenüber als gleichwertige Person betrachtet.
The Work und das systemische Coaching zielen zudem gleichermaßen auf die Selbstreflexion des Coachees ab. Sie bieten ihm/ihr die Chance, die Gedanken hinsichtlich eines Problems zu verändern und Lösungen zu finden. Das systemische Coaching als auch The Work stärken den Coachee in seiner Selbstwirksamkeit. Und ja, beide Coaching-Methoden arbeiten mit ähnlichen Fragen. Deshalb empfinde ich The Work und das systemische Coaching als ebenbürtige Coaching-Methoden! Außerdem zeigt dieser Artikel, dass The Work systemischer ist, als ursprünglich angenommen!
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